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Ein Gedicht über den Zufall und warum es ihn nicht geben könne und der daran sich knüpfende Diskurs

 

könnt es, so frag ich mich, zufälle geben?
ereignisse, plötzlich und einfach so,
die als feines zittern durchs espenlaub
oder als blitz durch die schöpfung flitzen?
kämen die dann aus dem nirgendwo,
erzeugten ganz ohne sinn und verstand
mal lottogewinn und mal wohnungsbrand?
ich find den gedanken ziemlich roh,
und glaube, selbst zwischen dielenritzen
sitzt alles voll morphogenetischem staub.
wenn ich niese, dann fliegt er nach irgendwo,
und zeitgleich gibts ein planetenbeben.

 

 

 

Ein formschönes und bildgewandtes Weltanschauungsgedicht, dem ich eine angenehme Selbstironie unterstelle. Man müsste sonst daran erinnern, dass die Chaostheorie, auf die hier niesend angespielt wird, mit dem fatalen Schmetterlingsflügelschlag in Brasilien, der einen Tornado in Texas auslösen könne, eigentlich die falsche Metapher wählte; denn sie zielte nicht auf einen Verstärkungseffekt ab oder auf den von der Esoterik postulierten Zusammenhang von allem mit allem, sondern wollte den Gedanken veranschaulichen, dass kleinste Veränderungen der Ausgangsbedingungen eines Systems spätere Zustände unvorhersagbar machten. Sie legte damit eher ein Wort für den Zufall ein als gegen ihn. – Außerdem überzeugt sich der Aufsichtsbeamte vor jeder Ziehung vom ordnungsgemäßen Zustand der 49 Kugeln und dass kein morphogenetischer Staub in die Zahlenmischmaschine gerät.

 


Ja, stimmt, es erinnert an den bekannten Schmetterlingsflügelschlag, aber ich hatte beim Schreiben nicht daran gedacht, und allerdings stärkt es nicht die Position derer, die an den Zufall glauben. Die Unvorhersagbarkeit eines Ereignisses bedeutet ja nicht, dass es plötzlich und von allein geschieht. Sie bedeutet nur, dass man es nicht vorhersagen kann. Weil z.B. die Messgeräte nicht geeignet sind oder weil man sich ohnehin in einem linearen, folglich zum Erfassen von Systemen unpassenden Bewusstseinszustand befindet. Vielleicht hat ja die Lottofee einen morphogenetischen Staubsauger und schafft es eines Tages, den reinen Zufall hervorzuzaubern.

 

Ob es den absoluten Zufall gibt - als eine variable Folge identischer Ursachen -, ist eine Streitfrage und schwer zu entscheiden; einiges scheint dafür zu sprechen, wenn man etwa an jene spontanen Mutationen des Erbguts denkt, die Evolution ermöglichen, oder an bestimmte quantenmechanische Effekte. Den relativen Zufall gibt es aber zweifelsfrei, nämlich überall dort, wo wir aufgrund fehlender oder praktisch nicht verfügbarer Information das Eintreten oder eine Kollision von Ereignissen nicht sicher vorhersehen können - und das ist in unserem Leben fast pausenlos der Fall, wenn wir nicht im Bett bleiben.

 

Ich denke, der Begriff Zufall hat eigentlich nichts mit Vorhersagbarkeit oder Nichtvorhersagbarkeit zu tun. Es geschehen immerzu Ereignisse, die niemand vorhersagen kann, und wenn sie dann eintreten, sieht man oft ein ganzes Bündel von Ursachen. Umgangssprachlich wird der Begriff Zufall verwendet, wenn ein Ereignis nicht kausal (linear) erklärbar ist, wenn also weder Ursache noch Ziel erkennbar sind. Das bedeutet jedoch nicht, dass es Ursachen und Ziele nicht geben kann. Sie sind nur nicht erkennbar, was wiederum alle möglichen Ursachen haben kann. Ich verwende den Begriff Zufall allenfalls ironisch, weil er mir zu einfach, zu oberflächlich, zu unachtsam ist. Er sagt über das bezeichnete Ereignis nämlich nichts aus. Wenn ich scheinbar zufällig morgens mit dem linken Fuß aufstehe, so wirds zwar in meinem verpeilten Zustand gewiss so sein, dass ich mir keine Rechenschaft darüber gebe, warum das so ist, und wenn ich durch die Wahl des linken Fußes nun scheinbar zufällig nicht in eine Glasscherbe trete, die scheinbar zufällig ein Stückchen weiter rechts lag, weil sie beim Zusammenfegen eines scheinbar zufällig am Vorabend zu Boden gefallenen Glases scheinbar zufällig übersehen wurde, so kann ich dumpfhirnig Zufall murmeln und ins Bad schlurfen. Ich kann aber auch denken: Oh, wie schön sich alles fügt, dass ich nun nicht blutend wie ein Schwein durchs Zimmer humpeln muss, da hatte ich wohl eine gute Intuition, nicht mit dem rechten Fuß zuerst aufzustehen. Schon sieht der Tag freundlicher aus, und schon sind wir nicht mehr in einer linearen Struktur, sondern mitten im systemischen Denken. Da hat der Zufall keinen Platz, weils da nicht mehr um Ursache und Wirkung, sondern um Muster geht. Was nun die Mutationen betrifft, so entstehen sie doch wohl durch einen negativen Effekt auf die Molekularstruktur eines Lebewesens. Manchmal ist das nicht nachweisbar, und schon redet man von einer Spontanmutation und führt den Begriff Zufall wieder ein, weil mans halt nicht erklären kann. Verlässt man aber auch hier das kausale System, so wird man Synchronizitäten entdecken, die mit dem spontanen Ereignis einhergehen, keine ursächliche, aber begleitende. Sind die dann auch alle zufällig da?

 

Was aber, wenn du mit dem andern Fuß aufstehst und in die Glasscherbe trittst? Wollte dich eine weise Fügung (Gott?) dann bestrafen für deine Unachtsamkeit? Da ich ungefähr seit 1755 nicht an jenen strafenden und lohnenden Gott glaube, möchte ich derlei Wechselfälle weiterhin nur auf die eigne oder fremde Dummheit schieben – oder eben auf den Zufall; und dass wiederum meine Dummheit mich daran hindert, sie im einen oder andern Fall zu erkennen, nötigt mich ebenfalls nicht, höhere Mächte ins Spiel zu bringen. Wenn du nun fragst, wie diese Haltung mit meinem Glauben vereinbar sei, so halte ich’s mit Kant, der das Wissen aufhob, um zum Glauben Platz zu bekommen. Nicht indem er das Wissen entwertete und durch Glauben verdrängte, sondern indem er die Bedingtheit allen menschlichen Wissens aufzeigte. Dem Glauben ist damit aber keine Narrenfreiheit gewährt! Deinen »morphogenetischen Staub« lasse ich dir nicht durchgehen. Sucht sich der Glaube an die Leerstelle des Wissens zu setzen, wird er gleichsam in seiner Bedingtheit sichtbar, in seiner Lächerlichkeit gar. Meine Erfahrungen als Wanderprediger haben mich desillusioniert. Ich plädiere für Bescheidenheit und Zurückhaltung in den Letzten Dingen. Für Gott ist Raum in unserem Denken, wenn wir ihm keinen Platz anweisen. Und wenn eine moderne Esoterik es nötig hätte, sich von der andern Seite an einen solch optimistischen Determinismus zu klammern, wie ihn die Naturwissenschaften schon längst überwunden haben, wäre es schlecht bestellt um die Sache der Akausalität.

 

 

 

Die Verse stammten aus der Feder von Mirani Meschkat, die Diskussion, hier geführt mit Roman Morweiser, ist noch nicht abgeschlossen.

 

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