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Auch ein Geheimagent unterliegt der alltäglichen Beobachtung und Ausspähung durch Nachbarn und sogenannte Freunde, vor denen man ja nirgends sicher ist. Man wird gnadenlos erkannt, selbst in unterschiedlichen perfekten Verkleidungen, und sieht sich auf einmal genötigt, sich als Mitglied eines Narrenordens, als invasiver Journalist oder als Geheimagent zu outen; denn die Wahrheit ist oft die beste Tarnung, weil sie nie geglaubt wird und die Spekulation zu wahrscheinlicheren Erklärungen anregt, auf die man selbst nie verfallen würde. Auch die Symptome eines einträglichen Auskommens ohne erkennbare Arbeitsleistung gilt es zu erklären. Um den Schein zu wahren, gebe ich Anhalt, mich zur Elite zu zählen, und zwar, das ist mir wichtig, zur geistigen; denn man hat ja seinen Stolz, und wer möchte schon als Subjekt eines tiefverrufenen Finanzelitentums auf seine alten Tage noch zur Zielscheibe des Pöbels werden, der längst, wir wissen es und fürchten uns, zum gleichmacherischen Schlag ausholt?

 

Die elitäre Lebensart ist verquickt mit einigen Gesinnungs- und Verhaltensauffälligkeiten, die gut einstudiert und beherrscht sein wollen. Was Not täte, wäre ein Knigge für die geistige Elite und die dazugehören möchten. Zu diesem mögen die nachfolgenden, losen, gelegentlich zu ergänzenden und zu strukturierenden Notizen beitragen.

 

 

 

Auf Seminar

 

Besucht die Elite ein Seminar, weiß aber nicht, in welchem Saale es stattfindet, so würde sie im Foyer des Seminarhauses eher eine Telefonkonferenz mit Hongkong initiieren, als den kümmerlichen Menschen an der Rezeption zu fragen, wohin sie sich zu begeben habe; geht es diesen seinem gesellschaftlichen Rang nach doch nichts an, ob sie ein Kreativitäts- oder ein Selbstmanagement-Seminar nötig hat oder etwa ihr Englisch aufzufrischen gedenkt. Weiß sie aber den Saal oder wähnt ihn zu wissen, so wird sie dem kümmerlichen Menschen nur die Nummer oder die Bezeichnung des Saales hinwerfen wie dem Hunde einen Knochen, um im Gegenzug und im Vorbeigehen – möglichst ohne dabei ihren Schritt zu verlangsamen – aufzuschnappen, wohin sie ihre weiteren Schritte wenden müsse, niemals aber wird sie ihm den Namen oder das Thema des Seminars nennen, denn das geht ihn schlicht und hartnäckig nichts an. Nichts kann daher zu einer schöneren Verwirrung beitragen als eine kurzfristige Verlegung der Veranstaltung in einen anderen Saal; denn selbst wenn es sich um einen benachbarten handelt, besteht keine Chance, dass diese Änderung der Gegebenheiten noch rechtzeitig ins elitäre Bewusstsein dringt. Die Chance, in den Tiefen des Weltalls endlich eine außerirdische Intelligenz auf uns Kümmerliche aufmerksam zu machen, ist wesentlich höher. Es ist schon vorgekommen, dass die Elite einen Vormittag in einem Chinesischkurs verbringt, um zur Mittagspause festzustellen, dass es sich bei diesem Kurs nicht um das in den Nebenraum verlegte Seminar »Emotionale Intelligenz für Obere Führungskräfte« handelt. Die Schuld an solchen Enttäuschungen trägt immer die Seminarorganisation, die notwendigerweise in den Händen bildungsfernen Personals liegt.

 

 

Taxifahren

 

Möchte die Elite zum Hauptbahnhof gelangen, so ist sie dringend darauf angewiesen, hinter irgendeiner Informationstheke einen kümmerlichen Menschen zu finden, der ihr ein Taxi bestellt. Die Aussichten, dass dieses Taxi die Elite an einem vereinbarten Ort vorfinden wird, sind jedoch geringer als die Wahrscheinlichkeit eines Verstoßes gegen die Heisenbergsche Unschärferelation: entweder wird sich die Elite nicht an die vereinbarte Zeit halten, oder sie wird ihr Taxi am falschen Ort erwarten, z.B. in der dritten Etage des Seminarhauses oder, wenn schon im Freien, dann an einem Verkehrsknotenpunkt, wo ein stoppendes Taxi unweigerlich eine Massenkarambolage auslösen würde. Die Elite zeigt kein Bemühen, sich in andere als die eigenen Motive einzufühlen. Die Schuld an der Enttäuschung tragen zu gleichen Teilen der kümmerliche Mensch, der das Taxi bestellte, und jener, der es lenkte.

 

 

Politik

 

Man findet Eliten durchaus in den Führungsebenen von politischen Parteien; ansonsten jedoch hält eine geistige Elite, die auf sich hält, Politik für ein schmutziges Geschäft und konsequenterweise sich selbst von ihr fern. In der idealen, also von dieser geistigen Elite geführten Gesellschaft gibt es keine Politik, keine Parteien, keine Notwendigkeit mehr der Artikulation partikularer Interessen, weil das Gemeinwohl unabhängig von den Hoffnungen und Ansprüchen einzelner Gruppen definiert werden muss. Aufgrund ihrer vernachlässigbaren Empathie ist die geistige Elite hierfür bestens prädestiniert. Auf Demonstrationen oder Protestveranstaltungen hat sie nichts zu suchen, es sei denn, sie wollte riskieren, sich mit dem Pöbel gemein zu machen; und wann wollte sie das je? Niemals würde die Elite einen Obdachlosen vor der eigenen Haustür verhungern lassen, ohne ihn zuvor erfrieren zu lassen: ein unbedachter Akt der Nächstenliebe würde nur ein System stabilisieren, das sie nicht gutheißen kann. Dabei tut man den Hungernden ohnehin keinen Gefallen, wenn man ihnen zu essen gibt; was sie bräuchten, wäre eine bessere Bildung. Andererseits: nicht jeder ist bildbar, wie der Pöbel meint, und muss es auch nicht sein. Während der Ungebildete draußen in der Kälte verreckt, arbeitet die Elite drinnen am Kaminfeuer an einem Essay über den verlogenen, zumindest angreifbar-fragwürdigen Begriff der Menschlichkeit. Anderntags stolpert sie beim Gang zum Briefkasten fluchend über den toten Bettler. Die Schuld an den Verletzungen, die sie sich dabei zuzieht, trägt das verbreitete Gutmenschentum, das Bedürftigen die nötigen Anregungen zur Selbsthilfe vorenthält.

 

 

Religion

 

Die Elite, zumal die geistige, ist unreligiös, denn keine religiöse Mission grausam und menschenverachtend genug, ihren Anklang zu finden und ihren Beifall. Naturgemäß ist es nicht sosehr der Gedanke, Anteil zu haben an einem Göttlichen, der der Elite verhasst ist; darein könnte sie sich gerne bescheiden und leicht sich darin wiedererkennen. Was sie indessen nicht hinnehmen kann, ist die Unsterblichkeit der Seele. Ihr Tod ist ihr ein eitles Anliegen. Unsterblich macht sich nur, wer zuweilen stirbt, sagt sich die Elite, und wäre ihre Seele unsterblich, dann wäre es am Ende die des Pöbels auch – und kein Gedanke unerträglicher, als ihm in Ewigkeit ausgesetzt zu sein!

 

 

In der Leihbücherei

 

Ein Besuch im Antiquariat ist o.k., Leihbüchereien aber gilt es zu meiden. Die Elite leiht sich keine Bücher aus, die fremde Hände mit aufs Klo nahmen, höchstens ausnahmsweise mal den Sarrazin, bei dem der Fetzen Klopapier als Buchzeiger zwischen den Seiten nicht gar so deplaciert wirkt. Man will ja mitreden können, ohne auf fremde Urteile zurückzugreifen, und wenn die populäre Linke so auf einen Autor anschlägt wie auf Sarrazin, könnte an seinen Thesen ja womöglich was dran sein. – Die Elite hat das Buch kaum aufgeschlagen, schon ist sie Sarrazinerin, und kein Hauch eines kritischen Gedankens trübt ihr mehr Brille und Blick. Denkbar, dass diese Beeinträchtigung des Denkvermögens schlagartig eintritt, sodass die Elite zwar im Vollbesitz ihrer geistigen Klarheit die Leihbücherei betrat, dieselbe jedoch im Zustand bedenklicher Verklärung wieder verlässt. Was immer nun Sarrazin, mit politischer Macht versehen, ausheckte, die Elite würde ihm folgen, wenn nötig, in den Untergang; wahrscheinlich würde sie in dieser Verfassung auch Mein Kampf goutieren. Man laste ihr’s nicht an; man bedenke, dass die heutige Elite, anders als ihre 68er Mutter, aufgrund politischer Abstinenz kein gesundes Vorurteil gegen primitivste Formen der Volksverhetzung ausbilden konnte.

  Übrigens wird die Elite die Leihfrist für das Buch gnadenlos überziehen, sie wird, auf einige Kaviarflecken angesprochen, die sie dem Buch beibrachte, darauf hinweisen, dass es schon vorher mit Kot befleckt gewesen sei (und was sei schlimmer?), und sich mit rhetorischen, notfalls auch juristischen Mitteln gegen die fälligen Gebühren in Höhe von 1,50 Euro zur Wehr setzen: Man habe ihr bei der Ausleihe zugesichert, dass sie die Leihfrist jederzeit verlängern könne, und warum dann nicht auch acht Wochen nach Ablauf derselben? Die Schuld an ihrer Verwirrung und Enttäuschung trägt der kümmerliche Mensch an der Ausleihtheke, der sich nicht so gewählt und durchdacht auszudrücken versteht, dass die Elite ihn auch verstehe.

 

 

Schulsystem

 

Falls die Elite eigenen Nachwuchs in die Welt setzte, was diese eigentlich nicht verdient hätte, so kommt für diesen selbstverständlich nur der Besuch von Eliteschulen in Betracht, anderenfalls fühlte er sich allzubald unterfordert und griffe zur Gewalt oder würfe gar mit unflätigen Ausdrücken um sich. An der Dreigliedrigkeit des deutschen Schulsystems ist wider besseren Wissens und schlechteren Abschneidens in internationalen Vergleichen unbedingt festzuhalten. Jedes Leben ist Ergebnis gnadenloser Auslese: daran wäre gelegentlich zu erinnern. Die Dreigliedrigkeit unseres Schulsystems entspringt und entspricht der natürlichen Ordnung des Gesellschaftswesens: ganz unten der ruhigzustellende, ruhigzuhaltende Pöbel, ganz oben, versteht sich, die Elite selbst, dazwischen die Klasse der praktisch Veranlagten und Kümmerlichen, zuständig für die Aufrechterhaltung der industriellen Produktion, für Verwaltungs- und Dienstleistungsaufgaben wie etwa die Seminarorganisation und schuldig zu sprechen von Fall zu Fall, wenn die Elite ihr Taxi verpasst oder sich im Seminarhaus verläuft. Die prästabilierte Harmonie wird bedroht durch sog. Gesamtschulen und andere philanthropische Bildungskonzepte, die von linken Ideologen ersonnen wurden, um dem Pöbel einen Ausgang aus seiner segensreichen Unmündigkeit zu weisen. Wo solche Konzepte in die Tat umgesetzt wurden, waren sie von Anfang an intelligent zu konterkarieren. Hier aber ist die Elite, so kann man sagen, auf einem guten Weg! Es fing damit an, dass sie sich, nach der Abschaffung der Noten für Grundschüler, seitenlange Verbalbeurteilungen verbal in die altvertrauten Schulnoten zurückübersetzen ließ, wodurch es ihr gelang, eine sinnreiche Reformidee ewiggestrigem Gelächter preiszugeben. Auch war Verlass auf ein kümmerliches, mäßig ambitioniertes Lehrpersonal, das die Reformen, die es auf den Weg bringen sollte, zielstrebig ad absurdum führte, etwa indem es an die Stelle der vergangnen Notenangst die noch fürchterlichere Angst vor der ausschweifenden, geschwätzigen Beurteilung in die Herzen seiner Schüler pflanzte. Mittlerweile ist keine Auslese so gnadenlos wie die an den Gesamtschulen praktizierte, denn jede Gesamtschulklasse – gerecht soll es ja zugehen – ist drittteils mit Pöbel, Eliten und Kümmerlichen zu besetzen, von allen drei Gruppen aber werden wiederum nur die Besten genommen, man bildet somit segmentarische Eliten aus – einen elitären Pöbel gar, ärgerlicherweise auf den ersten, doch auf den zweiten Blick ein schöner, scheinbarer Beleg dafür, dass der Elitarismus niemanden vergesse und der Traum von der Chancengleichheit nicht ausgeträumt sei. Hat man es geschafft, in eine Gesamtschule aufgenommen zu sein, durchläuft man eine Art Praktikum oder Vorhölle des vom späteren Leben Erwartbaren: eine verhauʼne Arbeit, und von einem Tag auf den anderen ist man erniedrigt. Die Gesamtschule hat sich zu einer Eliteschule par excellence entwickelt: kein schönerʼ Sieg war zu erhoffen. Die Elite ist keine Tatsache, schafft aber welche. Unausgesetzt.

 

 

Künstlerische Existenz

 

An Werken fehlt es noch, doch hat sich die Elite bereits als Künstlerin erfunden und ein Essay ausgestoßen, wonach die künstlerische Existenz von ihrem Ausstoß an Kunstwerken zu abstrahieren sei. Denkbar sei auch ein Künstler, der noch kein einziges Werk geschaffen habe, ja, auch künftig keines hervorbringen werde – schon gleich gar nicht für jene Masse, die man gern die breite nennt, als gäbe es eine schmale auch noch. – Schaden täte es freilich nicht, sagt sich die Elite, auf einen Auswurf verweisen zu können, etwas Kleines vielleicht, aber doch Eigenes, und da es heißt, ein Ortswechsel rege die Kreativität an, verlässt die Elite ihren heimatlichen Berg oder ihr Tal und bezieht in einem nicht allzu fernen, doch fremden Tal oder auf dem angrenzenden Berg ein Hotelzimmer mit Berg- oder Talblick, je nachdem, sagen wir für drei Tage; denn wenn’s Einem, der kümmerlicher als sie, in drei Tagen gelang, aus dem Tode sich zu erheben, warum dann nicht ihr, aus der Bedeutungslosigkeit?

  Am ersten Tag verliert sie sich in einer Betrachtung über die rohen Bemühungen des Zimmermädchens, mit ihr, der Elite, übers Klopapier oder die Seife ins Gespräch zu kommen. Am zweiten Tag empört sie sich, zeitunglesend, über die Anerkennung, die Junot Díaz mit dem Leben des Oscar Wao bei einer geistesarmen, wenn nicht gar korrupten Literaturkritik finde, obgleich er nicht anders als Dickens, Grass und Karl May nur Masse statt Klasse liefere.

  Am dritten Tag verführt sie das Zimmermädchen unter Vorspiegelung edlerer Empfindungen zum Oralverkehr, entsetzt sich in einem daran anknüpfenden Kaffeehausdialog über die skandalöse Wirksamkeit des Kitschigen und vermeldet, wieder heimkehrend, in ihrem Öffentlichen Journal, sie sei produktiv gewesen, habe aber nichts dabei gefunden.

 

 

Hierarchie

 

Das Zutrauen der Elite in die Mechanismen der Hierarchie und ihren höheren Sinn kommt dem naiven Kinderglauben gleich an jene Fee, die über verlorene Zähne hinwegtröste, und kann übrigens nur den verwundern, der, selbst ein wenig elitär, schon einmal, wenn ein niederer Angestellter nicht spurte, die Drohung wahr machte, sich an den Chef zu wenden. Heißt es nicht immer, der Fisch stinke vom Kopf her?

  Vor dem Thron erst der Geschäftsleitung bekommt es die Elite mit ihresgleichen zu tun, wirft sie einen kühnen Blick in den Spiegel ihrer Erhabenheit, um vor ihrer ungeahnten Kümmerlichkeit entsetzt zurückzuweichen. Wie kümmerlich, wenn nun kein Machtwort fällt und nicht von oben durchdiktiert, die Sache nicht mit einem Anruf erledigt wird! Aber wie kümmerlich auch steht sie da, die Macht, da sie eingreifen muss in die Geschäfte ihrer Beauftragten!

  Die Weisheit, fühlt sie sich verlassen, wendet sich an den nächstniederen Angestellten. – Wie verschroben!

 

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